ReichsdorfMuseum Gochsheim

Vorwort

Wenn man, wie ich, fast ein ganzes Leben im Schatten der St.-Michaelis-Kirche verbrachte, denkt man manchmal darüber nach wie es wohl früher war mit Turm, Gaden, Schutz und Zuflucht. Manche dieser Gedanken hielt ich schriftlich fest. Ursprünglich nur als Stichpunkte für Gästeführungen gedacht, ist nach und nach ein richtiges kleines Heftchen daraus geworden.

In meine Niederschrift übernahm ich teilweise Passagen aus der örtlichen Literatur von Fritz Zeilein, Walfried Hein und Longin Mößlein. Ein Großteil entstand jedoch auf der Grundlage eigener Beobachtungen und Nachforschungen. Vieles basiert allerdings nur auf Vermutungen, da im 30-jährigen Krieg fast alle Aufzeichnungen verloren gegangen sind. Einiges habe ich selbst erlebt und so manches habe ich durch Befragen erfahren.

Herzlichen Dank an alle, die mir geholfen haben.

Wenn der geneigte Leser zu dieser Schrift Berichtigungen oder Ergänzungen in Wort und Bild beitragen kann, so wende er sich bitte an:

Willy Denzer, Kirchgasse 21, 97469 Gochsheim, Telefon (09721) 61066

 

Die Kirchgadenbefestigung in Gochsheim

Im 6. Jahrhundert drangen die Franken in die Mainlande ein. Sie legten u. a. in Gochsheim und Geldersheim Königshöfe an. Diese Schwerpunktorte wurden gefördert und wuchsen stärker als andere Siedlungen, zumal diese Orte auch an Handelsstraßen lagen.

Das hatte aber auch Nachteile: Der Wohlstand dieser Orte reizte Horden und Raubritter zu Plünderungen, weil natürliche Hindernisse wie Wasserläufe und Berghöhen (z.B. Vollburg Michelau) fehlten. Man musste also an künstliche Befestigungen denken. Im ebenen Gelände war der einfachste Schutz eines Dorfes ein Graben, wobei man mit dem Erdaushub einen kleinen Wall in Richtung des Ortes errichtete. Dazu wurde oft eine sehr dichte Dornenhecke angelegt. Mit Genehmigung der Schutzherren durften diese Wälle auch als Mauerwerk aufgebaut werden. An den Eingangsstraßen baute man Tore.

Städte, Adels- und Bischofssitze hatten im Allgemeinen eine starke Außenbefestigung mit Türmen, hohen Mauern und Wällen (z.B. Am Unteren Wall, Schweinfurt)

Gochsheim war umfriedet mit einer Dorfmauer von etwa 2 km Umfang. Diese große Dorffläche mit den vielen Gemüsegärten war zur Verteidigung ungeeignet. Deshalb begnügte man sich eher symbolisch mit einer einfachen Steinmauer bis zu 2 m Höhe und bis zu 0,5 m Stärke. Warum zu dieser einfachen Mauer vier besonders wuchtige Tore gebaut wurden, ist unverständlich. Erhalten ist noch das Schwebheimer  Tor. Die Wohnung für einen Nachtwächter wurde erst später draufgesetzt.

Da ein einfacher Mauerschutz nicht ausreichte, baute man wie in Süd-Thüringen (Rohr), in der Vorderrhön (Ostheim) und in der Gegend um Schweinfurt und Kitzingen um die Kirche einen inneren Befestigungsring als eine Art Zitadelle mit dem Kirchturm als Bergfried. Normalerweise suchte man sich für diese Anlage die höchste Erhebung im Dorf (Euerbach).

In Gochsheim lag dieser höchste Punkt in der Nordost-Ecke der Dorfmauer an der heutigen Ecke Friedhofstraße – Jahnstraße. Unsere Altvorderen errichteten die Gaden-Wehranlage aber nicht an dieser Stelle, sondern in der Mitte des Dorfes. Der Grund dafür könnte sein, dass dort bereits die Kirche der Urpfarrei stand. (s. Beilage „ Kirche der Urpfarrei oder Kapelle?“).  

Zum Begriff „Gaden“ :

Laut Brockhaus „der Gaden, Gadem, ahd. gadam = ´Raum`, ´Gemach`, ´Scheune`.

Niederdt.: 1) Saalbau.  2) einzimmeriges Haus.  3) Kammer ; Laden ; Stockwerk.“

Das norddeutsche Wort „Kate“ ist begriffsverwandt.

Die Gochsheimer sagen einheitlich in der Ein- und Mehrzahl „die Godn“. Es sind Gebäude mit kleiner Grundfläche, welche in jedem Stockwerk nur einen Raum haben. In der Regel haben sie Keller-, Unter-, Ober- und Dachgeschoss.

Wenn man diese Gaden nach Reihenhaus-Art rund um den Kirchhof und/ oder der Kirche zusammenfügte, hatte man Folgendes:

1. eine burgähnliche Befestigung,  2. Asylrecht bei Gefahr, 3. Vorratskammern,

4. Notwohnungen. Falls der Raum zum Schlafen nicht ausreichte, durfte man auch in der Kirche nächtigen, oder sogar darinnen kochen? Man darf annehmen, dass das Kochen und Heizen in den Gaden wegen der Feuergefährlichkeit streng verboten war. Bei den ursprünglichen Gaden sind auch nirgendwo Reste einer Feuerungsanlage oder eines Kamins zu erkennen.

Die Außenwände der Gaden sind aus festen Bruchsteinen dick gemauert, versehen mit nur kleinen Öffnungen als Schießscharten. Die Innenmauern auf der Kirchenseite sind im leichteren Fachwerk gebaut und haben hier auch Türen, Fensterchen und Luken. Als Bedachung verwendete man zu seiner Zeit im Allgemeinen Hohlpfannen-Ziegel, eine Art Vorgänger des derzeit benutzen Materials.

Die Gadeneinfriedung um die Kirche war entweder rechteckig (Geldersheim und Schnackenwerth) oder gerundet (Gochsheim). Die Gochsheimer Art war vorteilhafter, denn man hatte bessere Rundumsicht beim Schießen und Beobachten, außerdem sind runde Mauern stabiler (s. Kellergewölbe). Wehrgänge bei Gadenbefestigungen im Allgemeinen sind mir nicht bekannt. Ein Wehrgang als Flachbaudach über den Gadenräumen mit Zinnen und Schießscharten hätte freilich die Wehrfähigkeit verstärkt und die Brandgefahr bei Angriffen gemindert. Dies wäre aber sicherlich aus materiellen und arbeitsaufwendigen Gründen nicht durchführbar gewesen.

Man ist allgemein der Ansicht, dass die Gadenanlage in Gochsheim um 1200 errichtet wurde. Hiervon steht noch der Torturm im Süden, welcher zu den ältesten Bauwerken dieser Art in Unterfranken zählt. Hier war vermeintlich der einzige Zugang ins Innere der Wehranlage.

Einige bereits  bestehende Gebäude wurden in den Gadenring mit einbezogen. Um den Gadenring war wohl kein Rundum-Wassergraben, weil das Gefälle des Geländes dies nur schwerlich zugelassen hätte. Außerdem fehlte zum Fluten des Grabens die entsprechende Wassermenge, denn in der Nähe war weder ein Bachlauf noch eine Quelle. Es könnten aber an einzelnen Abschnitten Nass- oder Trockengräben vorhanden gewesen sein. Trinkwasserbrunnen hat es im Gaden- und Friedhofbereich aus hygienischen Gründen vermutlich nicht gegeben.

Andererseits wäre Brauchwasser zum Löschen oder Reinigen dringend notwendig gewesen, auch weil die sanitären Verhältnisse bei einer Belagerung nicht die allerbesten gewesen sein dürften.

So war von 1200 bis 1500 eine einigermaßen gute Wehrfestigkeit gegeben, falls die Feindübermacht nicht zu groß war. Als jedoch ab 1500 bei kriegerischen Auseinandersetzungen Kanonen mitwirkten, war es mit der Sicherheit schnell vorbei

(s. Beilage „Turmbau 1502-1511“).

Im Jahre 1561 wurde gewisslich nicht mehr verteidigt, sonst hätte man den Rathausneubau nicht wenige Meter vor die Gaden gesetzt. Im Laufe des 30-jährigen Krieges (1618-1648) zogen es die Einwohner vor, in besonders drangvollen Zeiten in die nahen Wälder zu flüchten, als der böse Feind nach Gut, Kind und Weib trachtete.

Auch als die Gaden keinen Schutz mehr gegen Gewalt boten, wurden sie weiter genutzt: Man lagerte in den Geschossen Feldfrüchte, in den Kellern Wein, Bier und später auch Kartoffeln. Selbst Geld und Habseligkeiten versteckte man lieber hier als zu Hause. Die Gadenanlage wurde nämlich überwacht und nachts verschlossen. Diebstahl wurde hier besonders streng bestraft, zumal der Schutz des Gottesfriedens bzw. Landesfriedens weiterhin galt.

Der Gadenring wurde später dreimal unterbrochen:

 

1.)        Beim Bau des 1. Kantoratsgebäudes im Nordosten im 17. Jahrhundert.

            Das jetzige Kantoratsgebäude wurde 1812 errichtet.

2.)        Bei der Verlängerung des Kirchenschiffes      (= die 3. Kirche)      1872/73.

Zum Opfer fiel hierbei u.a. der „Dicke Turm“, ein Gaden mit dreifach aufeinander  gesetzten Gewölbe.                                                                                            Hier   trat das Dorfgericht zusammen, bevor man das Rathaus    erbaute.

3.)        Beim Anbau des Sitzungssaales an das Rathaus 1966.

            Ausführliches hierzu im späteren Abschnitt „Die Kehrseite des Alten Rathauses“.

 

Das Aussehen der Gadenanlage veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte ständig. Wurden anfangs Schäden der Feindeinwirkung beseitigt, mussten später laufend Wetterschäden ausgebessert werden.

 

Ein Gaden hatte oft mehrere Besitzer, und da es wahrscheinlich keine Bauvorschriften gab, baute, flickte und „modernisierte“ wohl jeder nach seinem Geschmack und Geldbeutel. Man kann sich vorstellen, dass es dabei mit der Gemeinschaftsfinanzierung eines Gadens durch mehrere Besitzer nicht immer zum Besten bestellt war. Was kümmerte es den Kellerbesitzer, wenn das Dach undicht war, oder den Obergeschossinhaber, wenn im Keller Grundwasser eindrang?

 So kam es, wie es kommen musste: die Gaden verwahrlosten immer mehr, es drohte teilweise  Einsturzgefahr.

 1890 wurde vom Gemeinderat beschlossen, die „unschönen“ Gaden abzureißen. Dies wurde glücklicherweise nicht umgesetzt.

 1910 sollten die „Ostgodn“ Platz machen für eine neue Schule. Die Schule wurde aber Gott sei  Dank 1912 an der Grettstadter Straße errichtet.

 1934 etwa schrieb ein Chronist (aus Würzburg) über die Gaden von einem „baufälligen Plunder“, “reif als Brennholz“.

 1944 zehn Jahre später, hätten die Gaden um ein Haar tatsächlich Brennholz abgegeben:

 Ein Fliegerangriff am 21. Juli 1944 legte in einem Hagel von Brandbomben einen großen Teil des Dorfes in Schutt und Asche. Sechs Meter von den Gaden entfernt brannte die Scheune der Gaststätte „Rose“, wobei wie durch ein Wunder das Feuer nicht auf die maroden Gaden übergriff.

 1977wurde aufgrund der schlechten Bausubstanz eine Sanierung eingeleitet, nachdem die Gemeinde anfangs der siebziger Jahre fast alle Gaden erworben hatte. Poröses Mauerwerk wurde aufgezeichnet, abgetragen und nach den Aufzeichnungen wieder aufgemauert. Dabei hatte die Baufirma Mühe, alte erfahrene Bruchsteinmaurer zu finden. Der Kostenaufwand betrug 600.000,- DM.

 1980 wurde mit dem 1. Historischen Fest die Fertigstellung der Gaden gefeiert, wobei alle Vereine mithalfen, das Dorf ins Mittelalter zu versetzen.

 1982 begann der Historische Förderkreis in Gochsheim-Weyer Zug um Zug einen größeren Teil der Gaden zum heutigen Reichsdorfmuseum auszubauen. Mit den Abteilungen Heimatmuseum, Fahrradmuseum, Büttnerwerkstatt, Setzerwerkstatt.

 Vor mehreren Jahren hat man sogar einmal angedacht, einen Tante-Emma-Laden und eine handwerkliche Buchbinderei anzugliedern.

 

Der vom Historischen Förderkreis betriebene Museumskeller wird für mannigfache kulturelle Veranstaltungen und Familienfeiern rege genutzt.

 Schließlich hat die Reservistenkameradschaft schon lange ihren Sitz in einem weiteren Kellergewölbe.

 Besonders schätzen die Gochsheimer das malerisch-historische Ensemble der Gaden bei den Kirchhof-Veranstaltungen wie Gaden- und Museumsfest, Backofentag, Ev. Gemeindetag und Adventsmarkt.

 

Was würde unser „Plunder- und Brennholz- Chronist“ von 1934 heute wohl schreiben?

Dennoch blickt man mit ein bisschen Wehmut zurück. Bei der großen Restaurierung vor 30 Jahren ging so manches für immer verloren. Die Eigenwilligkeit des Einzelobjekts wurde uniformiert. Verschwunden sind die wunderschön krummen Dächer und Giebel, die verschiedenen Treppen mit fehlenden Stufen, die mit Blech geflickten Holztüren und noch mehr.

 Sicherlich ist aber so mancher Gochsheimer stolz auf „die Godn“, welche mit wirklich viel Glück über acht Jahrhunderte hinüber gerettet wurden.